Schweigemarsch durch die Würzburger Innenstadt

Bayern
Tools
Typographie
  • Smaller Small Medium Big Bigger
  • Default Helvetica Segoe Georgia Times

An die erste Deportation von Jüdinnen und Juden aus Würzburg am 27. November 1941 haben am Montagabend, 28. November, die Gemeinschaft Sant’Egidio und die Israelitische Kultusgemeinde erinnert.

Seit dem Jahr 2000 findet diese Veranstaltung in Zusammenarbeit der katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirche statt. Rund 250 Personen zogen nach Polizeiangaben von der Gedenkstätte „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ am Hauptbahnhof schweigend durch die Innenstadt zum Innenhof des Rathauses. Einige trugen Schilder mit den Namen der nationalsozialistischen Konzentrationslager, in denen jüdische Menschen aus Unterfranken getötet wurden. „Die Nationalsozialisten wollten das deutsche und europäische Judentum vollständig auslöschen – die Menschen und alles, was sie geschaffen hatten und an sie erinnerte. An uns ist es, diese Absicht zu durchkreuzen, indem wir an die Opfer erinnern und indem wir die Erinnerung an den großen Beitrag wachhalten, den Jüdinnen und Juden zur Geschichte und Kultur unseres Landes geleistet haben“, sagte Oberbürgermeister Christian Schuchardt im Rathaushof. Insgesamt wurden zwischen 1941 und 1943 2063 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Würzburger in die osteuropäischen Vernichtungslager verschleppt. Nur 41 Personen überlebten. „Das ungeheure Maß an menschlichem Leid und unmenschlicher Schuld, das sich hinter diesen nüchternen Zahlen verbirgt, erfüllt uns mit Trauer und Scham und lässt kaum Raum für andere Empfindungen“, erklärte Schuchardt. Beim Gedenken an die Deportation gehe es mehr um die Zukunft als um die Vergangenheit. „Es geht um ein öffentlich ausgesprochenes und unüberhörbares ‚Nie wieder!‘ und darum, aus dieser Forderung praktische Konsequenzen für unseren Alltag zu ziehen.“

Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, erinnerte an die 202 Jüdinnen und Juden, die 1941 von der Schrannenhalle aus zum Güterbahnhof in der Aumühle gebracht wurden. Er bezweifle, dass niemand in Würzburg mitbekommen habe, als dieser Tross durch die Straßen der Stadt getrieben wurde. Proteste seien jedenfalls nicht bekannt. Der weitere Weg der Deportierten führte mit dem Zug über das Sammellager Nürnberg-Langwasser ins Vernichtungslager Riga. „Die Staatsanwaltschaft hat 1947 149 Verantwortliche für die Deportationen ermittelt. Sie alle wurden freigesprochen“, sagte Schuster. Pfarrerin Angelika Wagner von der Gemeinschaft Sant’Egidio sagte, dass aktuell der Krieg in der Ukraine fruchtbaren Boden für Verschwörungstheorien darstelle. Jeder Einzelne stehe täglich vor der Entscheidung, ob er gegen Antisemitismus und Rassismus einstehe und das friedliche Miteinander fördere – „durch Taten und Worte“.

In seinem Grußwort am DenkOrt vor dem Hauptbahnhof hob Weihbischof Ulrich Boom hervor, dass in den Tagen des Advents immer wieder dazu aufgerufen werde, wachsam zu sein. „Zur Wachsamkeit gehört der wache Blick auf die Gegenwart, die Erinnerung an die Vergangenheit und die Mahnung, dass vergangenes Versagen sich in Zukunft nicht wiederholt.“ Die Menschen blieben immer, aus welchen Gründen auch immer, hinter dem Anspruch zurück, den sie sich zu stellen hätten. Der Schweigemarsch durch die Innenstadt sei ein Bekenntnis zum Respekt vor jedem Menschen und eine eindeutige Absage an jede Form von Diskriminierung und Antisemitismus. „Wo wir uns erinnern, kommen wir der Würde aller Menschen einen Schritt näher“, sagte Weihbischof Boom. Der evangelische Dekan Dr. Wenrich Slenczka fragte im Blick auf die systematische Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten: „Wie können Menschen Menschen so etwas antun?“ Es sei wichtig, der Taten zu gedenken, damit nichts mehr in dieser Art geschehen könne. Es sei ein Trugschluss zu meinen, die Menschheit habe aus dem unsäglichen Leid der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gelernt und sei daher gegen Ähnliches gefeit. „Wer sagt, dass wir besser sind als die Menschen damals?“


PS: Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan von Aschaffenburg News!